Zu den Rating-Agenturen und ihren Ratings

:: Wirtschaft

Frankreich verlor die Bestnote und sofort nehmen einige erneut die Rating-Agenturen in das Blickfeld (siehe bspw. den Bericht in der Süddeutschen). Hierzu ist auch der kleine Blick von Paul Krugman auf die Begründung von Standard & Poor’s sehr interessant.

Zur gleichen Zeit, in der in den Medien und auf der Straße die Schulden- und Euro-Krise diskutiert wird, nimmt ein weiterer Diskussionsstrang an Fahrt auf: Nutzen Volkswirte eigentlich die richtigen Ansätze und Modelle für ihre Theorien? So beispielsweise in den VDI-Nachrichten oder auch mit Hinblick auf die Fragen von Studierenden nach alternativen Modellen beim Spiegel.

Beide Entwicklungen hängen meines Erachtens an einer Stelle zusammen, dazu möchte ich allerdings ein wenig ausholen:

  1. Seit einiger Zeit (bestimmt gut 10–15 Jahre) hat sich in der Sicht auf die Unternehmensfinanzierung ein Wandel vollzogen. War gerade in Deutschland in früherer Zeit das Hausbankenprinzip vorherrschend, also Kreditbeziehungen zwischen Kreditnehmer und Bank, so hat sich dies in den letzten Jahren (auch regulatorisch erkennbar bspw. an Basel II) gewandelt zu einer stärker kapitalmarktorientierten Sicht auf die Finanzierung. In der soll gleichsam der Kapitalmarkt für die rechte Allokation des Finanzkapitals sorgen und sich die Unternehmen gemäß ihren Aussichten und Ideen um dieses Kapital bewerben. Damit verändert sich allerdings der Aufgabenbereich der Bank. War die Hausbank als Gläubiger früher selbst daran interessiert, dass sie mit Informationen über ihre Kreditnehmer versorgt wird, so schwindet dies Interesse, wenn sie lediglich für das Platzieren einer Anleihe oder den Zugang zum Kapitalmarkt benötigt wird. Eine solchermaßen tätige Bank wird ja nicht selbst zum Gläubiger, sondern verdient ihr Geld am Zusammenbringen von Investoren und kapitalsuchenden Unternehmen. Damit die Investoren jedoch eine Möglichkeit erhalten, die Unternehmen zu beurteilen, müssen sie sich, da ihnen die Einsichtsmöglichkeiten wie bei einer Hausbank früher verwehrt sind, auf den Ratschlag eines externen Dritten verlassen, dem externen Rating durch eine Rating-Agentur. 1
  2. Wären alle Randbedingungen (wie Nachfrage, Produktionsbedingen etc.) eines Marktes oder einer Volkswirtschaft bekannt, so verbliebe im Prinzip ein reines Allokationsproblem zwischen Anbietern und Nachfragern. Dies könnte im Extremfall auch ein Computerprogramm erledigen. Nun ist es in der Realität aber so, dass viele Dinge völlig unklar und unbekannt sind und darüberhinaus auch die Zukunft für die Akteure reichlich ungewiss ist. Tätigwerden an einem Markt bedeutet dann, die eigenen Schlüsse aus dem für einen selbst verfügbaren Datenmaterial zu ziehen und etwas auszuprobieren. In der Folge lässt sich erkennen, ob diese Initiative von Erfolg gekrönt wurde oder nicht und entsprechend neue Ideen und Initiativen daraus ableiten. Zugleich lassen sich Vorstöße von Wettbewerbern beobachten und ggf. nachmachen, also imitieren. Der Wettbewerb ist also nicht statisch, sondern besteht aus einer Vielzahl von vorstoßenden und nachstoßenden Akten. Damit wird unmittelbar klar, dass der Wettbwerb in einem solchen Markt von einer gewissen Heterogenität geprägt sein wird: Es wird initiative Unternehmen geben, die mit neuen Produkten oder Produktionsverfahren experimentieren, es wird eher reagierende Unternehmer geben, die beobachten und abwarten, sich eher auf bisher Bewährtes konzentrieren und ggf. einfach etwas imitieren.
  3. Wendet man diese Überlegung nun auf die Finanzierung von Unternehmen an, so kann man die Frage aufwerfen, warum man in Europa die eigenen Strukturen des Hausbankenprinzips auf Kosten der Kapitalmarktorientierung zurückgedrängt hat. Wäre es nicht im Sinne der Heterogenität sinnvoll, ein alternatives Konzept am Markt zu testen? Hier deutet sich schon ein erster Zusammenhang zur Theoriebildung in der Volkswirtschaftslehre an. Im Zuge der Verhandlungen über Basel II ist es schlicht nicht gelungen, sich mit eigenen theoretischen Vorstellungen gegenüber einem stärker am Kapitalmarkt orientierten Modell durchzusetzen. 2
  4. Wer sind nun diese Rating-Agenturen? Es fällt auf, dass es in Bezug auf die großen Schuldner nur einige wenige Agenturen gibt. In Bezug auf die Staatsschuldenkrise werden hier häufig Standard & Poor’s, Fitch, Moody’s genannt. Deren Ratings haben mit Sicherheit einen sehr großen Einfluss. Klar jedoch ist, dass diese Agenturen natürlich nur mit dem Blick durch ihre eigene theoretische Brille zu ihren Einschätzungen kommen können. Und diese ist wahrscheinlich (man mag mich da gerne korrigieren, ich habe es nicht geprüft) von der US-amerikanischem Mainstream-Ökonomie beeinflusst. 3 Es wundert daher nicht, dass die Einschätzungen der Rating-Agenturen sich in einer gewissen Weise gleichen oder gleichen Ansätzen folgen. Auch hier die Frage: Fördert Gleichförmigkeit im Denken und in den Ansätzen den Wettbewerb? Sollten nicht alternative Rating-Konzepte am Markt getestet werden?
  5. Und hier schließt sich der Kreis von den Rating-Agenturen hin zur Frage, wie Volkswirtschaftslehre überhaupt gelehrt wird. Märkte, aber auch Wissenschaftssysteme, die von Gleichförmigkeit geprägt sind, können alternative und unterschiedliche Hypothesen nicht prüfen. Der Wettbewerb auf Märkten, der Wettbewerb um die besten Theorien der Wirtschaftswissenschaften, benötigt eine gewisse Heterogenität. Es wird daher spannend zu sehen sein, ob sich aus der momentanen Krise alternative Konzepte entwickeln und ob sie sich an ihren jeweiligen Märkten bewähren können.

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  1. Ich will nun hier nicht in die Diskussion einsteigen, ob das eine oder das andere System besser ist, dazu gäbe es sicherlich eine Menge zu sagen, aber das soll hier nicht der Punkt sein. 

  2. Dass man sich nun über die Folgen wundert, ist folglich völlig unverständlich, siehe bspw. mein Blogpost zum Vorhaben der EU, den Rating-Agenturen unter bestimmten Bedingungen die Publikation von Länderratings zu untersagen: Link zum Blog-Post 

  3. Einigen der Schimpftiraden über die deutschen Ökonomen kann ich allerdings nicht so recht folgen. So wurde den Ökonomen in Deutschland über viele Jahre vorgehalten, sie seien international wissenschaftlich nicht “anschlussfähig”, publizierten zuwenig in den großen Journalen. Nun sind diese, wie man leicht prüfen kann, in der Regel US-amerikanische oder britische Zeitschriften. Will man dort landen, muss man sich ein Stück weit natürlich auf die Weltsicht des Mainstreams einstellen. Es gibt Ausnahmen, zugegeben. Aber grob skizziert lande ich mit einem Standardthema und einer Mainstream-Methodik eher im American Economic Journal als mit etwas sehr Ausgefallenem und Unüblichen.