Der Rundfunkrat des hr übt den Diskurs
Am 15. Dezember 2014 hat der Wissenschaftliche Beirat des Bundesministeriums des Finanzen ein Gutachten zu “Öffentlich-rechtliche Medien - Aufgabe und Finanzierung” [veröffentlicht](http://download.hr-rundfunkrat.de/presse/2015/beschluss-gremien-gutachten-wiss enschaftlicher-beirat–100.pdf)
Der Inhalt wollte dem einen oder anderen Vertreter der öffentlich-rechtlichen Medien nicht schmecken. So haben sich der Runkfunkrat und der Verwaltungsrat des Hessischen Rundfunks “ausführlich” mit dem Gutachten und einer Stellungnahme des “hr-Justitiars” befasst und einen “einstimmigen Beschluss” hierzu gefasst.
Ich möchte nun nicht auf sämtliche Aspekte des Gutachtens und was dafür oder dagegen spricht eingehen. Allerdings hat mich das eine oder andere in dem “Beschluss” der hr-Gremien etwas stutzig gemacht. Es heißt dort gleich zu Beginn:
“1. Der Rundfunkrat und der Verwaltungsrat kritisieren, dass sich ein für Rundfunktfragen unstreitig unzuständiges Gremium ein Papier veröffentlicht hat, das längst überholte ökonomische Positionen wieder aufleben lässt und Auffassungen vertritt, die sich weder ökonomisch noch rechtlich halten lassen.”
In Deutschland hat sich neben der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik ein eigenes Gebiet der “Finanzwissenschaft” als Lehre von den öffentlichen Haushalten, der Besteuerung, der Staatsausgaben, der öffentlichen Schuld, der Staatstätigkeit etc. herausgebildet. Einige Vertreter dieses Faches sind Mitglieder des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen.
Eine der ersten Fragen in der Finanzwissenschaft, die man sich bspw. in der universitären Ausbildung stellt, ist: “Was gehört eigentlich zum ‘Staat’?” Mitunter zuerst fallen einem die Gebietskörperschaften (Bund, Länder und Gemeinden) und ihre Haushalte ein. Daneben spielen aber auch öffentlich-rechtliche Institutionen eine bedeutsame Rolle, die man mit dem Begriff der “Parafisken” bezeichnet, sie erfüllen öffentliche Aufgaben und finanzieren sich in der Regel über Zwangsabgaben. Hierzu zählt man beispielsweise die Sozialversicherungen, aber auch Kammern, soweit sie öffentliche Aufgaben wahrnehmen. Auch sie sind Gegenstand der Finanzwissenschaft. In meinem Exemplar von Zimmermann/Henke, Finanzwissenschaft, 7. Auflage, 1994 sind einige Ausführungen zu den Parafisken auf den Seiten 8 bis 11 zu finden.
Und hierzu gehören aus diesem Blickwinkel unstreitig auch die Institutionen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Eine etwas ausführlichere Darstellung zu den Parafisken findet sich in einem Gutachten des DIW Berlin von C. Katharina Spieß aus dem Jahr 2014 (das allerdings nicht den Rundfunk, sondern familienpolitische Leistungen zum wesentlichen Inhalt hat) in den Kapiteln 2 bis 3, für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk im Abschnitt 3.3.
Wenn nun die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten Parafisken sind, die Parafisken zum Gegenstand der Finanzwissenschaft gehören, dann wäre es meines Erachtens sträflich, würde sich der Wissenschaftliche Beirat beim BMF nicht damit befassen.
Insofern halte ich die Behauptung, der Beirat sei “unstreitig unzuständig” für falsch und irreführend.
Außerdem beschreibt die Satzung des Beirates seine Aufgaben recht weit:
"§ 1 Aufgaben des Beirats
Der Beirat soll den Bundesminister der Finanzen in voller Unabhängigkeit und ehrenamtlich in allen Fragen der Finanzpolitik beraten."
Die hr-Gremien haben insgesamt 7 Punkte beschlossen. Obwohl sie in dem oben zitierten ersten Punkt dem Beirat Auffassungen unterstellen, die sich ihrer Ansicht nach ökonomisch nicht halten lassen, so finden sich in den beschlossenen Punkten nahezu keinerlei ökonomische Entgegenungen:
- In Punkt 2 werden die unterstellten Marktmechanismen in Bezug auf den Zeitungsmarkt in Frage gestellt.
- In Punkt 3 wird im Kern argumentiert, man hätte doch auch das Angebot des öffentlich-rechtlichen Rundfunks beachten sollen.
Demgegenüber wird bis auf Punkt 2 durchgehend mit “verfassungsrechtlich” (kommt als Wort insgesamt 5mal vor) oder dem “Bundesverfassungsgericht” (4 Vorkommen, 3mal als “Bundesverfassungsgericht” und einmal als “höchste deutsche Gericht”) argumentiert.
Zum Schutz der hr-Gremien muss man allerdings noch erwähnen, dass der Beirat in seinem Gutachten neben eher finanzpolitischen Überlegungen auch einen Abschnitt über verfassungsrechtliche Perspektiven verfasst hatte.
Es bleibt aber dabei, dass die hr-Gremien sich bis auf ihren Punkt 2 mit den ökonomischen Fragestellungen aus dem Gutachten eigentlich nicht recht auseinandersetzen wollen. Dabei wäre das dringend nötig. Die Auseinandersetzungen um Druckerzeugnisse vs. Rundfunk, “Tagesschau-App”, Depublizierung, neuartige Rundfunkgeräte, etc. machen meines Erachtens deutlich, dass hier ein Austausch von Argumenten dringend nötig wäre. Hierzu haben die hr-Gremien allerdings entweder nicht die Kraft oder nicht das Verlangen. Statt dessen werfen sie dem Wissenschaftlichen Beirat eine Entgleisung vor, wenn sie schreiben:
“Das Ignorieren der mittlerweile 50jährigen kontinuierlichen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur dualen Rundfunkordnung … ist … nicht nur eine indiskutable Ohrfeige an das höchste deutsche Gericht, …”
An diesem Zitat zeigt sich für mich auch, dass ein Austausch von Argumenten wohl gar nicht gewollt ist. Die Positionen des Beirats werden mit kernigen Formulierungen belegt: “Auffassungen vertritt, die sich weder ökonomisch noch rechtlich halten lassen”, “indiskutable Ohrfeige an das höchste deutsche Gericht”, “mit der Entwicklung der Rundfunkordnung … in keiner Weise ernsthaft auseinandergesetzt”, “verkennt in erschreckender Weise”, “völlig unverständlich”, “völlig abwegig”, “hat sich keinerlei Mühe gemacht”, “macht deutlich, wie wenig sich der Beirat mit den rechtlichen und verfassungsrechtlichen Fakten befasst hat”, “völlig untauglich”, “keine Alternative” und im letzten Satz "[a]ngesichts der vielfachen Defizite des Papiers kann es auch nicht den Anspruch erheben, wissenschaftlich zu sein."
Im Ergebnis: In meinen Augen zeigen die hr-Gremien einen oft zu beobachtender Reflex: Die Gegenseite wird zuerst einmal für nicht zuständig erklärt, anschließend ihre Argumente ignoriert und auf einer anderen Ebene gegen sie argumentiert. Dies passiert schlussendlich noch in einem Duktus, der auch keine Antwort mehr erwartet.
Insgesamt doch eher unbefriedigend und nicht von der Fähigkeit zum Diskurs gekennzeichnet. Vielleicht hätte man nicht nur den hr-Justitiar, sondern auch den hr-Ökonomen befragen sollen.
PS: Nach wie vor macht mich etwas stutzig, wie Rolf-Dieter Postlep das hat unterschreiben können.
Update (2017–03–08): Laut Pressemitteilung des Rundfunkrates vom 03. Februar 2017 ist Rolf-Dieter Postlep aus dem Rundfunkrat ausgeschieden. Seinen Platz als Vertreterin der Hochschulen hat Kira Kastell eingenommen.